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„Die Hochschulen ächzen massiv“

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Sogar der privaten Johns-Hopkins-Universität in den USA drohen Kürzungen. 	dpa
Sogar der privaten Johns-Hopkins-Universität in den USA drohen Kürzungen. © dpa

Sogar die bekannte Johns-Hopkins-Universität in den USA soll viele Millionen Euro einsparen: Aber auch in anderen Ländern ist die Lage der Hochschulen dramatisch, warnt der Experte Frank Ziegele. Im Vergleich stehe Deutschland noch recht gut da.

Frank Ziegele, 54 Jahre, ist Geschäftsführer des CHE Centrums für Hochschulentwicklung, das 1994 von der Bertelsmann Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz gegründet wurde und Studien zu hochschulpolitischen Themen sowie Rankings erstellt. Zudem hat er einen Lehrstuhl für Hochschul- und Wissenschaftsmanagement an der Hochschule Osnabrück inne, wo er auch als Studiengangsleiter aktiv ist. Ziegele ist darüber hinaus Herausgeber von Fachzeitschriften. 

Herr Ziegele, weltweit ächzt die Wirtschaft angesichts der Corona-Pandemie. Vor welchen Herausforderungen stehen denn die Hochschulen?

In vielen anderen Ländern ächzen auch die Hochschulen massiv. Eine aktuelle Studie in Großbritannien erwartet beispielsweise, dass wegen der Pandemie die Zahl der Studierenden um rund 230 000 absinkt. Dadurch fehlen insgesamt 2,8 Milliarden Euro, 60 000 Arbeitsplätze sind in Gefahr und für zwei von drei Universitäten kann die Lage kritisch werden. Die berühmte Monash-Universität in Australien muss allein mehr als 200 Millionen Euro einsparen. Da wurden bereits die Gehälter der Führungskräfte um 20 Prozent gekürzt und Entlassungen drohen. Insbesondere in Großbritannien und Australien, wo bis zu 40 Prozent der Einnahmen aus den Gebühren von internationalen Studierenden stammen, ist die Lage dramatisch – denn die Studierenden kommen nicht. Einrichtungen werden geschlossen, Mitarbeiter werden entlassen, das Lehrpensum wird erhöht, so dass kaum noch Zeit für Forschung bleibt. Selbst die bekannte Johns-Hopkins-Universität in den USA, die täglich die weltweiten Corona-Daten herausgibt, muss allein bis Juni Verluste in Höhe von fast 95 Millionen Euro hinnehmen.

Warum sinken die Studierendenzahlen so stark?

Solange die Hochschulen im Notbetrieb sind, fangen viele gar nicht an zu studieren. In Großbritannien wartet ein Fünftel der Studierenden lieber ab, weil es ihnen zu heikel ist. Manche lassen es ganz sein. Daher werden durchaus Einbrüche erwartet. Auf der anderen Seite haben einige Länder die Hochschulbildung zum Exportgut gemacht: In England, den USA und Australien wird mit dem guten internationalen Ruf gezielt vor allem um asiatische Studierende geworben. Für diese Hochschulen bedeutet es drastische Einbußen, wenn ausländische Studierende wegbleiben. Dort geht es ums Geld, ein Geschäftsmodell, das jetzt in der Krise ist. Das ist anders als in Deutschland, wo ausländische Studierende vor allem als Bereicherung für die Internationalität der Hochschule angesehen werden. Deren Fehlen macht sich dann zwar in der Lehre bemerkbar, aber nicht finanziell.

Sehen Sie auch die länderübergreifende Forschung in Gefahr?

In Grenzen, denn die wissenschaftliche Community ist dabei, sich mit virtuellen Methoden neu zu organisieren. Forschungsprojekte werden genauso international weiterlaufen.

Wie ist es um Hochschulen in unseren Nachbarländern bestellt?

In den skandinavischen Ländern ist es ähnlich wie in Deutschland. Da die Hochschulen vornehmlich staatlich finanziert sind, treten zunächst kaum Effekte auf. Im Augenblick zeichnen sich noch keine Kürzungen ab.

Im Gegenteil melden sich derzeit doch viele Experten zu Wort, die gerade angesichts der Corona-Krise deutlich höhere Investitionen in den Bildungssektor fordern. Wie sehen Sie das?

Jetzt wäre genau der richtige Zeitpunkt, um mit Bildungsinvestitionen gegen die Krise anzukämpfen. Ein gutes Beispiel ist Schweden, wo über den Sommer ein Programm mit 6000 Plätzen aufgelegt wird, um Menschen weiterzubilden, die in Kurzarbeit oder arbeitslos sind. Lebenslanges Lernen, das kann ein Weg aus der Krise sein.

Was brauchen die Hochschulen, um gut durch die Krise zu kommen?

Hochschulen sind finanziell besser aufgestellt mit einem System, das sich aus vielen unterschiedlichen Quellen speist. Die Niederlande beispielsweise streuen das Risiko. Dort gibt es ein gemischtes Finanzierungsmodell für Hochschulen, das sich aus Gebühren und staatlichem Geld zusammensetzt. In die Krise kommen die, die sich zu sehr auf eine Quelle stützen. In Deutschland stammen 86 Prozent der Mittel für Hochschulen aus öffentlichen Mitteln, von denen sie extrem abhängig sind. Das geht derzeit noch gut, aber das kann sich ändern, wenn die Verschuldung überhandnimmt.

Sind Sie für Studiengebühren, um Hochschulen finanziell zu sanieren?

Das ist definitiv der falsche Zeitpunkt. Das Centrum für Hochschulentwicklung hat zwar gute Modelle für Studiengebühren entwickelt, aber wir betonen immer, dass Studiengebühren nicht funktionieren, wenn man dadurch staatliche Kürzungen kompensiert und legitimiert. Das wollen wir auf keinen Fall. Letztlich würden dann die privaten Haushalte belastet, ohne das Studium dadurch besser zu machen.

Auf welche zusätzlichen Quellen sollen Hochschulen dann setzen?

Auf Einnahmen aus Fundraising, aus Projekten mit Unternehmen und Stiftungen oder eigener unternehmerischer Tätigkeit. Zur kurzfristigen Überbrückung von Engpässen wie aktuell müsste auch die Kreditaufnahme möglich sein. Der Staat kann auch Anreize setzen wie in den Niederlanden. Mittlere und kleinere Firmen erhalten dort Innovationsgutscheine von bis zu 10 000 Euro, wenn sie mit einer Hochschule zusammenarbeiten und eine Forschungsleistung bestellen. In Deutschland haben sich zarte Pflänzchen etwa in der Weiterbildung entwickelt, die nun drohen einzugehen, wenn Unternehmen das Interesse verlieren. Gerade Fachhochschulen tragen vielerorts in strukturschwachen Regionen zur Entwicklung bei.

Besteht die Gefahr, dass die Unabhängigkeit der Wissenschaft und Forschung durch enge Zusammenarbeit mit privaten Geldgebern ausgehebelt wird?

Aus diesem Grund plädiere ich ausdrücklich für eine Vielfalt der Finanzierungsquellen, wobei auch die staatliche Grundfinanzierung der Hochschulen gestärkt werden muss. Der Staat muss auch künftig Stabilität gewährleisten. Doch die vielen staatlichen Programme, die nur zehn Jahre oder weniger laufen, lassen sich vergleichsweise leicht kürzen.

Stichwort digitale Lehre: Wo stehen dort die deutschen Hochschulen?

Bei den Geräten und digitalen Lernplattformen sind die Hochschulen recht gut aufgestellt. Aber wir brauchen ja auch die Lehrenden, die damit umgehen können. Da gibt es einen enormen Bedarf an Qualifizierung und Unterstützung. An meiner Hochschule, wo ich als Professor arbeite, war die technische Umstellung auf das digitale Semester gar kein Problem. Wir hatten alle Systeme dafür, das ging auf Knopfdruck von einem Tag auf den anderen. Wir müssten aber Stellen schaffen für sogenannte Instructional Designer, die gemeinsam mit den Professoren an der didaktischen Umsetzung des Online-Angebots arbeiten. Dafür braucht es Zusatzinvestitionen.

Haben alle Studis das nötige Equipment?

Im Prinzip gibt es den gleichen Effekt wie beim Homeschooling. Mir berichten Lehrende davon, dass ihnen manche Studierende momentan verloren gehen.

Wie lange wird noch weiter online studiert?

Das hängt davon ab, wie sich die Pandemie entwickelt. Aber ich rechne damit, dass das Wintersemester noch weitgehend digital ablaufen wird, außer etwa Veranstaltungen in Laboren. Die Universität Cambridge in England ist schon vorgeprescht und wird bis Mitte 2021 online lehren. Ich bin mir aber sicher, dass wir künftig mehr online arbeiten und ich wünsche mir, dass es den Hochschulen gelingt, das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen.

Interview: Franziska Schubert

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